Neues aus Sportdeutschland
Olympia-Blues ist ausgestanden, die Heim-EM kann kommen
Gespräche mit Nils Ehlers und Clemens Wickler zählen zu den angenehmen Dingen des Lebens. Nicht nur, weil Deutschlands bestes Beachvolleyball-Duo allürenfrei, eloquent, höflich und dabei immer mit einer angemessen Portion Schalk im Nacken daherkommt. Sondern auch, weil Ausreden für sie auf dem Index stehen und stattdessen schonungslos ehrliche Selbstkritik Programm ist. Wer sich also darüber wundert, dass die Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele von Paris 2024 in die Heim-EM, zu der von diesem Mittwoch bis Sonntag in Düsseldorf aufgeschlagen wird, „ohne Erwartungen starten“, bekommt die Begründung dazu sofort mitgeliefert.
„Wir haben in der Nachbereitung von Paris ein paar Fehler gemacht“, sagt Clemens, „wir haben die Pause danach zu kurz gestaltet, zu viele Turniere noch mitgenommen und uns zu wenig Zeit zur Verarbeitung genommen.“ Er sei, sagt der 30 Jahre alte Abwehrspezialist, auf einer Euphoriewelle geschwommen, die sich super angefühlt habe. „Dieses Gefühl wollte ich in die neue Saison hinüberziehen, habe mir dadurch Ergebnisdruck gemacht, dem ich nicht standhalten konnte.“ Nils, der in Paris seine Olympiapremiere gleich mit Edelmetall krönen konnte, hatte ähnliche Emotionen. „Ich habe mich extrem mit dem Abschneiden in Paris identifiziert und von mir erwartet, nun immer oben zu sein. Aber so ein Mindset ist schädlich, denn jedes Turnier startet bei 0:0. Erfolge aus der Vergangenheit sind schön, aber irrelevant für Gegenwart und Zukunft. Das haben wir beide nun verstanden und daraus gelernt“, sagt der 31-Jährige.
Die Lehre aus den World University Games? NRW kann Sportgroßevents!
„Rhine-Ruh“ steht an der überdimensionierten Flamme, dem Logo der Rhine-Ruhr 2025 FISU World University Games, an der sich zwischen Messe Essen und Grugahalle täglich Hunderte Besucher der Weltspiele der Studierenden fotografieren lassen oder selbst ablichten. Das „r“ ist abgefallen, was nach acht Veranstaltungstagen als normaler Materialschwund gelten kann, oder vielleicht wurde es auch von besonders verrückten Souvenirjägern abgeschraubt, man weiß es nicht. Was man weiß: Selten war ein Schriftzug weniger Programm, denn Ruh gibt es bei dieser Multisportveranstaltung ungefähr genauso viel wie in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens. Die World University Games mit ihren knapp 7000 Athlet*innen und weiteren rund 2200 Delegationsmitgliedern aus rund 150 Nationen sind ein vibrierender Schmelztiegel des studentischen Hochleistungssports. Und weil sie mit Blick auf die Bewerbung der Region Rhein-Ruhr um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele in Deutschland in den Medien gern als Testlauf oder Blaupause für noch Größeres bezeichnet werden, lohnt es sich, ein wenig genauer hinzuschauen.
Sina Diekmann tut dies aus beruflichen Gründen besonders intensiv. Die 36-Jährige ist bei der Veranstaltungs gGmbH als Abteilungsleiterin Sport angestellt, und auch wenn ein knackiges Abschlusswochenende mit vielen Entscheidungen noch aussteht, ist sie überzeugt davon, ein positives Fazit ziehen zu können. „Wir dürfen behaupten, dass wir internationale Sportveranstaltungen dieser Größenordnung organisieren können“, sagt sie. Feedback von Delegationen aus aller Welt speise diese Einschätzung. Vor allem das dezentrale Konzept der Unterbringung, das 84 Hotels in der Region anstelle eines zentralen Athlet*innendorfs einbindet, werde fast schon überraschend gut angenommen. „Der Faktor Zeit ist für die meisten sehr entscheidend, und wer von seinem Hotel fußläufig zur Wettkampfstätte kommt, muss nicht wertvolle Zeit in Shuttlebussen verbringen, sondern hat sie stattdessen zur Vor- und Nachbereitung. Das wird von den allermeisten Sportlerinnen und Sportlern sehr positiv bewertet“, sagt sie.
Zu Beginn Probleme mit digitaler Zeitmessung
Ines Lenze und Christoph Edeler, die als Doppelspitze die deutsche Delegation leiten, können das bestätigen. „Die Services funktionieren sehr gut, die Shuttles fahren pünktlich und sehr regelmäßig, das Essen in den Hotels und Wettkampfstätten ist hochwertig und ausreichend, deshalb sind alle sehr zufrieden“, sagt Ines Lenze. Zu Beginn der Wettkämpfe gab es an einigen Venues zwar Probleme mit der digitalen Zeitmessung, die nicht adäquat auf den Bildschirmen dargestellt werden konnte. „Das hat uns überrascht, weil unser Partner Atos als erfahren in Multisportevents gilt. Aber dass die ersten Tage nie ruckelfrei und manchmal nervenaufreibend sind, ist nicht überraschend, und wir haben die Probleme mittlerweile gemeinsam mit Atos in den Griff bekommen“, sagt Sina Diekmann.
Das Klischee von dauerfeiernden Student*innen, das angesichts gestraffter Studieninhalte sowieso immer seltener stimmt, wird dadurch bedient, dass die Veranstalter an den Wettkampforten Bochum, Duisburg, Essen, Hagen, Mülheim und Berlin als Außenstelle für Schwimmen, Wasserspringen und Volleyball sogenannte „Neighbourhoods“ eingerichtet haben; Orte, an denen sich die Teilnehmenden versammeln, treffen und – ganz wichtig – Pins tauschen können. „Außerdem ist in der Akkreditierung der öffentliche Nahverkehr in der gesamten Region enthalten, was von den Athlet*innen sehr gut angenommen wird. Viele fahren nach ihren Wettkämpfen zum Beispiel ins Bermudadreieck nach Bochum und machen dort gemeinsam Party. Dort kommen sie dann mit der Bevölkerung in Kontakt, und genau darum geht es bei einem Multisportevent dieser Ausrichtung ja auch“, sagt Sina Diekmann.
Der Vergleich mit dem Olympiakonzept, mit dem Nordrhein-Westfalen zum 31. Mai offiziell in den nationalen Ausscheid mit Berlin, Hamburg und München eingestiegen ist, hinkt allein schon deshalb, weil die darin eingeplante wichtigste Gastgeberstadt Köln und die Landeshauptstadt Düsseldorf nicht Teil der WUG sind. Der Charme der Sportstätten, die die Region zur Verfügung stellen kann, wird aber auch in diesen Tagen sichtbar. Um diese Sichtbarkeit komprimiert Entscheider*innen aus verschiedenen Bereichen von Wirtschaft, Politik und Sport zu ermöglichen, haben die Veranstalter am Mittwoch zur Observer Tour geladen. Auf einer Bustour durch die Hauptaustragungsorte Duisburg, Bochum und Essen lassen sich Eindrücke gewinnen, die zumindest die Fantasie dafür anregen, wie Olympische Spiele mit doppelt so vielen Teilnehmenden und Sportarten - 18 sind es bei den WUG - in NRW funktionieren könnten.
„Wir sind auch Sportler:innen!“ - Special Olympics und Inklusion
In dieser besonderen Folge von Gesund in Sportdeutschland treffen zwei Stimmen aufeinander, die Klartext sprechen: Was bedeutet echte Inklusion im Sport - jenseits von Sonntagsreden und wohlmeinenden Absichtserklärungen? Stephanie Wiegel, Athletin mit geistiger Behinderung, erzählt mit beeindruckender Offenheit, warum Sichtbarkeit mehr ist als ein Platz auf dem Siegertreppchen - und warum Respekt nicht bei der Medaille aufhören darf. An ihrer Seite: Justin Schütz, Eishockeyprofi und Special-Olympics-Deutschland-Botschafter, der nicht nur Brücken baut, sondern auch klar benennt, wo unsere Gesellschaft dringend noch Barrieren abbauen muss.
Team D Nachwuchs überzeugt beim EYOF 2025 in Skopje
Mit sieben Mal Gold, vier Mal Silber und zwölf Mal Bronze verabschiedet sich der Nachwuchs des Team Deutschland erfolgreich aus der nordmazedonischen Hauptstadt. Im Medaillenspiegel landet Deutschland mit seinen 23 Medaillen auf Platz acht noch vor Serbien und hinter Ungarn.
Bei der Abschlussfeier führte erneut ein Fahnenträger*innen-Duo die 148 deutschen Nachwuchsathlet*innen an. Die Wahl des DOSB fiel dabei auf Lotta Willuhn (Handball) und Milan Zeisig (Badminton).
Die 17-jährige Torhüterin Lotta Willuhn vom TV Hannover-Badenstedt hat mit der U17 Mädchenmannschaft am letzten Wettkampftag sensationell Gold gewonnen. Die Mannschaft startete als Underdog in das Turnier und kämpfte sich von einem Sieg zum nächsten. Lotta trug mit ihrer Leistung maßgeblich zum Erfolg bei und ist die einzige Spielerin der aktuellen Mannschaft, die die Qualifikation für das EYOF mit bestritten hat.
Lotta über ihre Wahl: „Das macht mich sehr, sehr glücklich. Es war echt eine Überraschung, diese erfreuliche Nachricht überbracht zu bekommen. Ich bin stolz auf mein Team und trage die Fahne für alle zusammen. Ich reise mit ganz vielen, neuen Eindrücken ab. Man konnte durch das Multisportevent ganz viele neue Sportarten entdecken und das hat viel Spaß gemacht.“
Der 16-jährige Milan Zeisig vom SV Berliner Brauereien war an jedem Tag beim EYOF im Einsatz und zeigte konstant herausragende Leistungen. Im gesamten Turnier verlor er nur zwei Sätze im Einzel-Halbfinale und holte damit Bronze im Einzel. Im Mixed Doppel marschierte er mit seiner Partnerin Laira Röhl durch den Wettkampf und gab in keinem einzigen Spiel einen Satz verloren. Am Ende krönte er sich dadurch am letzten Wettkampftag zusätzlich mit der verdienten Goldmedaille.
Milan zeigt sich begeistert: „Ich bin ziemlich überwältig. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass ich Fahnenträger werde. Ich glaube, das kann ich alles erst begreifen, wenn ich etwas runtergefahren habe. Im Moment bin ich noch überwältig vom spielerischen und von der Atmosphäre. Ich fliege jetzt erstmal in den Urlaub und freue mich darauf, dass ich das Alles nochmal Revue passieren lassen kann.“
Eine Übersicht aller Erfolge des Team Deutschland beim EYOF findet ihr hier: Team D Erfolge EYOF Skopje 2025
Eine Auflistung aller Sportler*innen inkl. Vereinen und zugehöriger Bundesländern findet ihr hier: Alle 148 Athlet*innen des Team D EYOF Skopje 2025
Erstes olympischen Event für Team D Nachwuchssportler*innen
Für den deutschen Nachwuchs im Alter von 13 bis 18 Jahren war es das erste internationale Event mit olympischem Charakter. Das vom European Olympic Committee (EOC) organisierte EYOF ist mit rund 3.000 Athlet*innen aus 48 Nationen das größte und wichtigste Multisportevent für die europäischen Nachwuchstalente. In 15 olympischen Sportarten ging es um insgesamt 488 Medaillen.
Chefin de Mission, Prof. Dr. Ilka Seidel, zieht ein positives Gesamtfazit: „Wir sind stolz auf den Nachwuchs des Team Deutschland und auf das, was sie beim EYOF geleistet haben. Im Vordergrund stand für uns, dass die Athlet*innen internationale Erfahrung sammeln und an ein Event in dieser Größenordnung herangeführt werden. Wir haben aber auch gesehen, wie ehrgeizig der Nachwuchs des Team D ist und wie viel Potential in ihm steckt. Das EYOF ist eine sehr gute Adresse für alle Nachwuchssportler*innen, um sich weiterzuentwickeln und den nächsten Schritt in der Leistungssportkarriere zu machen. Ich gratuliere allen Medaillengewinner*innen im Namen des DOSB und wünsche allen Athlet*innen, dass sie ihren sportlichen Traum weiter zielstrebig verfolgen, dass sie gesund bleiben und wir sie eines Tages im großen Team Deutschland willkommen heißen dürfen.“
Was bleibt von Paris 2024? Fünf Impulse, die über den Sport hinaus wirken
Paris 2024 war ein Wendepunkt, der durch tiefgreifende Reformen, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter Präsident Thomas Bach bereits Jahre zuvor angestoßen hatte, möglich gemacht wurde. Mit der Olympic Agenda 2020, The New Norm und Olympic Agenda 2020+5 wurde die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele grundlegend neu gedacht: transparenter, nachhaltiger, sozialer. Das Ergebnis: ein Sportgroßevent, das sich in die Gesellschaft integrierte, statt sich von ihr zu entfernen.
Reichweite und Teilhabe: Spiele für alle
Die Spiele in Paris waren keine elitäre Veranstaltung, sondern ein Fest für Millionen: Über 12 Millionen Tickets wurden verkauft, 8 Millionen Menschen besuchten die öffentlichen Fanzonen, 45.000 Volunteers engagierten sich im Einsatz vor Ort, Weltweit verfolgten 5 Milliarden Zuschauer*innen das Geschehen über TV und digitale Kanäle. Die Spiele waren dank innovativer Formate und urbaner Austragungsorte moderner, jugendlicher und inklusiver. Sie waren spürbar näher an den Menschen dran und dadurch so sichtbar wie nie.
Viele Athlet*innen wurden so zu Vorbildern, was sich direkt auf den organisierten Sport im Land auswirkte. Nach den Spielen stiegen die Mitgliederzahlen in französischen Sportvereinen deutlich an. Tischtennisvereine meldeten ein Plus von 20 Prozent, im Fechten waren es sogar 25 Prozent, beim Triathlon 32 Prozent. Auch Schwimmen, Handball, Rugby, Volleyball und der Para-Sport verzeichneten Zuwächse, beflügelt durch starke Auftritte und Medaillen heimischer Sportler*innen wie dem Schwimmer Léon Marchand und Tischtennisspieler Félix Lebrun.